Der vorsorgliche Ausweisentzug ohne Strassenverkehrskonnex: Post vom Strassenverkehrsamt nach dem Ehestreit

Aus einem Polizeieinsatz aufgrund von verbaler häuslicher Gewalt ging hervor, dass ein Aargauer ein Alkoholproblem haben könnte. Die Polizei erstattete daraufhin Meldung an das Strassenverkehrsamt, obschon es nie zu einem Zwischenfall im Strassenverkehr kam. Dieses ordnete eine verkehrsmedizinische Begutachtung zur Abklärung der Fahreignung an und verfügte einen vorsorglichen Ausweisentzug, da die Gefahr einer Trunksucht nicht ausgeschlossen und damit das Autofahren nicht mehr verantwortet werden könne. Der Aargauer hat sich bis vor Bundesgericht dagegen gewehrt – und seinen Führerausweis zurückerhalten (Urteil des Bundesgerichts 1C_780/2021 vom 22. Juni 2022).

Fragestellungen

Eigentlich vollkommen klar: Wer zu viel Alkohol getrunken hat, darf sich nicht mehr hinter das Steuer setzen, denn Alkohol kann die Fahrfähigkeit beeinträchtigen und gefährdet damit die Verkehrssicherheit. Doch was passiert, wenn man ausserhalb des Strassenverkehrs alkoholisiert auffällt? In welcher Form darf das Strassenverkehrsamt intervenieren? Diesen Fragen widmet sich der vorliegende Beitrag und beleuchtet dabei auch die höchstrichterliche Rechtsprechung, welche jüngst durch den eingangs erwähnten Entscheid ergänzt wurde.

Was darf das Strassenverkehrsamt? – Rechtliche Grundlage des vorsorglichen Ausweisentzugs

Wer ein Motorfahrzeug führt, muss u.a. über die sogenannte Fahreignung verfügen, das heisst die psychischen und physischen Voraussetzungen zum sicheren Lenken erfüllen. Das Strassenverkehrsamt darf jedoch unter gewissen Umständen an der Fahreignung zweifeln und präventiv Massnahmen gegen Motorfahrzeuglenker verfügen. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine fehlende Fahreignung, so kann insbesondere der Führerausweis vorsorglich entzogen werden (Art. 30 VZV).

In Bezug auf den Alkoholkonsum begründet das Erreichen bestimmter Grenzwerte einen Anfangsverdacht der mangelnden Fahreignung. Es muss in diesen Fällen zwingend eine verkehrsmedizinische Untersuchung angeordnet werden, um die in Zweifel gezogene Fahreignung abzuklären. Konkret bedeutet dies, dass sich eine Person ohne Einzelfallprüfung einer solche Untersuchung unterziehen muss, wenn sie mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1.6 ‰ oder einer Atemalkoholkonzentration von mindestens 0.8 mg/l Atemluft fährt (Art. 15d Abs. 1 lit. a SVG i.V.m. Art. 28a Abs. 1 lit. a VZV). Selbst wenn jedoch diese Schwelle nicht erreicht wird aber ein Verkehrsteilnehmer beispielsweise wiederholt unter Alkoholeinfluss fährt oder trotz erheblichem Alkoholkonsum keine Anzeichen dafür zeigt, kann dies als Hinweis auf eine fahreignungsausschliessende Alkoholabhängigkeit qualifiziert werden.

Die Anordnungen des Strassenverkehrsamtes setzen jedoch nicht zwingend voraus, dass eine Person alkoholisiert hinter dem Steuer sass. Dies mag erstaunen. Wie der eingangs geschilderte Fall zeigt, können auch unabhängig von Verfehlungen im Strassenverkehr Bedenken an der Fahreignung aufkommen; dies beispielsweise aufgrund eines Polizeiberichts (das Aargauer Polizeigesetz erlaubt der Polizei, entsprechende Vorkommnisse dem Strassenverkehrsamt zu melden, § 51 Abs. 1 PolG AG) oder der Meldung eines Arztes beim Strassenverkehrsamt. Die Anordnung einer verkehrsmedizinischen Untersuchung kann sich folglich auch bei Auffälligkeiten ausserhalb des Strassenverkehrs rechtfertigen, sobald Hinweise auf ein tatsächlich verkehrsrelevantes Suchtverhalten vorliegen. Eine Blutalkoholkonzentration von 2.5 ‰ oder mehr impliziert in der Regel eine sehr hohe Alkoholtoleranz (Gewöhnung) und deutet beispielsweise auf eine Alkoholabhängigkeit hin. Eine solche Trunksucht würde der Fahreignung mit anderen Worten widersprechen. Mit dieser Praxis wird sichergestellt, dass Verkehrsteilnehmer stets zwischen «Trinken» und Fahren unterscheiden können.

Was sagt das Bundesgericht? – Kasuistik zum Ausweisentzug ohne Strassenverkehrskonnex

Im eingangs erwähnten Fall erachtete das Bundesgericht die Anhaltspunkte für ein tatsächlich verkehrsrelevantes Suchtverhalten ausserhalb des motorisierten Strassenverkehrs aufgrund des ehelichen Streites unter Alkoholeinfluss im konkreten Fall als nicht erstellt, weshalb dem Betroffenen sein Führerausweis zurückgegeben wurde. Bereits im Jahr 2011 erging ein gleichlautendes Urteil nach einem Vorfall häuslicher Gewalt unter dem Einfluss von 1.99 ‰ Alkoholkonzentration im Blut. Auch im Falle eines Fussgängers, der auf dem Trottoir stürzte und dabei unter dem Einfluss von 2.27 ‰ stand und zudem einen einschlägig getrübten automobilistischen Leumund hatte, kam das Bundesgericht zum Schluss, dass die angeordnete verkehrspsychiatrische Abklärung ungerechtfertigt sei. Es handle sich um ein isoliertes Ereignis ohne Bezug zu einer allfälligen Teilnahme am motorisierten Strassenverkehr, weshalb die Annahme, der Mann werde erneut in verkehrsrelevanter Weise Alkohol konsumieren, nicht gerechtfertigt sei.

Anders hingegen entschied das Bundesgericht, dass die verkehrsmedizinische Untersuchung zu rechtfertigen ist, wenn dem zu Hause angetroffenen Mann bis zu 2.34 ‰ nachgewiesen werden konnte und er regelmässig grössere Mengen Alkohol konsumierte aber keine Erklärung für den beachtlichen Schaden an seinem schräg auf dem Trottoir parkierten Fahrzeug liefern konnte. Ausserdem verursachte er alkoholisiert einen Selbstunfall mit dem E-Bike. Dies führte dazu, dass angenommen werden musste, der Betroffene könne den Alkoholkonsum nicht von der Teilnahme am Strassenverkehr trennen. Das Bundesgericht fällte auch bei einer Fussgängerin (bis zu 3.38 ‰), die beim Überqueren der Hauptstrasse in einen Unfall verwickelt wurde, einen gleichlautenden Entscheid. Sie musste sich ebenfalls einer verkehrsmedizinischen Untersuchung unterziehen, obschon sie im Moment der Auffälligkeit kein (Motor-)Fahrzeug führte.

Fazit & Empfehlung

Fehlt es bei einer Auffälligkeit unter Alkoholeinfluss gänzlich an jeglichem Zusammenhang zum Strassenverkehr, wie dies bei einem Ehestreit der Fall ist, zeigt sich die Praxis äusserst zurückhaltend und zweifelt in der Regel nicht an der Fahreignung des Betroffenen bzw. erachtet eine verkehrsmedizinische Untersuchung als nicht gerechtfertigt. Besteht jedoch zumindest ein geringer Konnex zur Teilnahme am (motorisierten) Strassenverkehr, kann das Strassenverkehrsamt die Fahreignung zulässigerweise in Zweifel ziehen. Im Falle von ausreichend konkreten Anhaltspunkten bzw. Hinweisen auf das Fehlen der Fahreignung kann folglich eine verkehrsmedizinische Abklärung angeordnet und der Ausweis vorsorglich entzogen werden. Die Wiedererteilung des Führerausweises hängt dann vom günstigen Ausgang dieser Untersuchung ab, was für den Betroffenen sehr einschneidend und zeitaufwändig sein kann. Insbesondere die gesetzlich verankerten Grenzwerte lösen im Strassenverkehr die Vermutung aus, der Lenker verfüge nicht über die erforderliche Fahreignung. Diese Vermutung muss im Einzelfall sodann mit einer Untersuchung widerlegt werden. Überdies kann die Wiedererteilung des Führerausweises an Auflagen geknüpft werden (bspw. Nachweis von Alkoholabstinenz o.ä.).

Sollten Sie sich in einer ähnlichen Situation wiederfinden, dann zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir verfügen zudem auch über Erfahrung in den Schnittstellen von Betäubungsmittelkonsum und Strassenverkehr, wo sich eine ähnliche Problematik stellt. Unsere Experten beraten Sie gerne und prüfen die verfügten Anordnungen. Wir unterstützen Sie sowohl beim Zurückerlangen des Führerausweises nach einem ungerechtfertigten Entzug, als auch durch massgeschneiderte Coachings, falls Sie sich doch einmal einer verkehrsmedizinischen Begutachtung unterziehen müssen. Da der, für die administrativrechtlichen Massnahmen entscheidende, Sachverhalt oft bereits im Strafverfahren festgestellt wird, lohnt sich eine Intervention bereits bevor das Strassenverkehrsamt aktiv wird.

 

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