Tod einer Patientin durch allergische Reaktion auf Medikament

Am 21. Mai 2015 konsultierte die später verstorbene Patientin den beschuldigten Arzt, der zu diesem Zeitpunkt seit rund einem Jahr ihr Hausarzt gewesen war, in dessen Arztpraxis. Anlässlich dieser Konsultation hat der Beschuldigte das Medikament Cefuroxim verschrieben, das die Patientin im Anschluss an den Arztbesuch in der Apotheke, der ebenfalls angeklagten Apothekerin, bezog. Gleichentags ist die Patientin im Kantonspital Aarau an den Folgen eines durch das Medikament ausgelösten anaphylaktischen Schocks verstorben.
Der Arzt hatte im Rahmen der Erstbehandlung im Jahr 2014 insbesondere die Frage nach einer Antibiotika-Allergie abgeklärt, wobei die Patientin mündlich bestätigt hatte, nicht allergisch auf Antibiotika zu sein. Der Arzt hatte in der Folge die Patientin mehrfach aufgefordert, ihre vollständige Krankengeschichte beizubringen, was die Patientin aber unterlassen hatte.

Staatsanwaltschaft eröffnet Verfahren wegen fahrlässiger Tötung

Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren und klagte den Arzt und die Apothekerin wegen fahrlässiger Tötung an. Die Staatsanwaltschaft begründete ihre Anklage mit der Tatsache, dass seit Jahren bekannt gewesen sei, dass die Patientin an diversen Allergien gelitten habe. Ebenso hätte der Arzt die fehlenden Akten in der Krankengeschichte selbst bei der früheren Hausärztin seiner Patientin erhältlich machen sollen. Das Obergericht des Kantons Aargau sprach den Arzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Es verurteilte die Apothekerin wegen fahrlässiger Tötung, da sie einem Hinweis auf die Allergie der Verstorbenen nicht nachgegangen war. Dieses Urteil wurde nicht ans Bundesgericht weitergezogen.

Bundesgericht bestätigt Freispruch vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung

Den Freispruch gegen den Arzt bestätigte das Bundesgericht. Es begründete sein Urteil damit, dass die Abgabe von Heilmitteln an Patienten grundsätzlich erst nach zweifacher Kontrolle durch Fachpersonen (Arzt und Apothekerin) erfolgen. Die Sorgfaltspflichten von Arzt und Apothekerin sind unabhängig voneinander zu beurteilen; entsprechend dürfen beide nicht darauf vertrauen, dass der jeweils andere seine Sorgfaltspflichten vollumfänglich erfüllt hat. Die Apothekerin hat sich grundsätzlich nach den Vorgaben der ärztlichen Verschreibung zu richten. Sie hat sich beim rezeptausstellenden Arzt über die Richtigkeit zu vergewissern, wenn sie nach den Umständen an der medizinischen Indikation des verschriebenen Arzneimittels zweifeln muss.

Bundesgericht streicht Selbstverantwortung der Patientinnen und Patienten hervor

Das Bundesgericht kam zu dem Schluss, dass sich der Arzt auf die mündliche Aussage seiner Patientin verlassen durfte, wonach diese keine Antibiotika-Allergie gehabt habe. Der Arzt war nicht verpflichtet, die Krankenakte seiner Patientin bei der früheren Hausärztin einzuholen. Die Patientin habe nämlich von ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gebrauch gemacht, da sie die Akten auch nach mehrfacher Aufforderung durch den Arzt diesem nicht zugänglich machte. Sie setze sich damit eigenverantwortlich einem gewissen Risiko aus, nicht optimal behandelt zu werden.
Bei der Beurteilung des massgebenden Sorgfaltsmassstabs beim Verschreiben von Arzneimitteln ist dem Urteil des Bundesgerichts zuzustimmen. Das Urteil trägt den Gegebenheiten in der Praxis Rechnung. Es streicht die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten gebührend hervor. Ärztinnen und Ärzte dürfen sich auf mündliche Aussagen ihrer Patientinnen und Patienten verlassen, sofern keine Anhaltspunkte für Zweifel an den Aussagen der Patienten bestehen. Das Bundesgericht zeigt damit die Grenzen der Schutzbedürftigkeit von Patientinnen und Patienten auf.

 

Aufgepasst: Aufklärung auch bei Nichtbehandlung notwendig

Nicht Gegenstand des Urteils war die ärztliche Aufklärung. Vor jeder Behandlung hat der Arzt resp. die Ärztin den Patienten darüber aufzuklären, damit dieser eine informierte Entscheidung treffen kann, ob er die Behandlung durchführen will oder nicht. Gelangt der Arzt zu dem Schluss, dass er den Gesundheitszustand seines Patienten nicht ausreichend kennt, um ihm ein bestimmtes Medikament zu verschreiben (z.B., weil der Patient wesentliche Akten seiner Krankengeschichte zurückbehält), muss der Arzt den Patienten über die Folgen der Nichtbehandlung aufklären. Nur so kann der Arzt resp. die Ärztin gänzlich ausschliessen, zivil- oder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden.

 

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