Überblick Erbrechtsrevision
Das revidierte Erbrecht wird per 1. Januar 2023 in Kraft treten. Im Vordergrund der Revision steht die Vergrösserung der Verfügungsfreiheit sowie der Gestaltungsmöglichkeiten des Erblassers, allen voran durch eine Verkleinerung der Pflichtteile. Verstirbt jemand nach dem Inkrafttreten des revidierten Erbrechts, gelangt dieses automatisch zur Anwendung. Nachfolgend werden einige wichtige Punkte des revidierten Erbrechts thematisiert; die Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Pflichtteile
Durch das revidierte Erbrecht werden die Pflichtteile reduziert; der Erblasser erhält damit bei der Nachlassplanung mehr Freiheiten. So werden die Pflichtteile der Eltern ganz abgeschafft und jene der Kinder reduzieren sich von aktuell drei Viertel des gesetzlichen Erbanspruchs auf neu die Hälfte. Der Pflichtteil des Ehegatten (bzw. des eingetragenen Partners) bleibt dagegen gleich und macht die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs aus. Zur Veranschaulichung dienen folgende Konstellationen im Überblick:
Ehepaar mit Nachkommen | Konkubinatspaar mit Nachkommen | Konkubinatspaar ohne Nachkommen; beide Eltern am Leben | |
Verfügbare Quote bisher | 3/8 | 1/4 | 1/2 |
Verfügbare Quote neu | 1/2 | 1/2 | 1/1 |
Zur Beurteilung des hieraus allenfalls resultierenden Anpassungsbedarfs bestehender Erbverträge oder Testamente (Verfügungen von Todes wegen) dient folgendes Beispiel: Ein Ehepaar setzt in einem Erbvertrag die gemeinsamen Nachkommen auf den Pflichtteil und wendet den Erbteil zuzüglich der verfügbaren Quote von insgesamt 5/8 dem überlebenden Ehegatten zu. In diesem Beispiel wird basierend auf den Pflichtteilen nach bisherigem Recht explizit eine Quote von 5/8 genannt. Um von den kleineren Pflichtteilen der Nach-kommen gemäss revidiertem Erbrecht profitieren zu können und den überlebenden Ehepartner maximal zu begünstigen, ist somit eine Anpassung dieser Verfügung von Todes wegen angezeigt. Erwähnt ein Erbvertrag die Quoten dagegen nicht explizit in Zahlen (z.B. «Wir setzen unsere Nachkommen auf den gesetzlichen Pflichtteil und wenden die verfüg-bare Quote gegenseitig dem überlebenden Ehegatten zusätzlich zu seinem gesetzlichen Erbteil zu.»), gelangt bei einem klaren Willen der Meistbegünstigung des überlebenden Ehepartners (beispielsweise wird dies sogar als Ziel des Erbvertrags genannt) das revidierte Erbrecht samt kleineren Pflichtteilen zur Anwendung, wenn ein Ehegatte nach dem 1. Januar 2023 verstirbt. Eine Anpassung des Erbvertrags jedenfalls unter diesem Titel wäre diesfalls nicht zwingend erforderlich. Bleibt im Einzelfall der Erblasserwille aber gemäss Erbvertrag unklar, so ist unter Umständen eine Anpassung der Verfügung von Todes wegen empfehlenswert. Die grössere Verfügungsfreiheit kann ferner auch bei einer Anpassung oder Neugestaltung der Nachlassplanung konkret genutzt werden. So können etwa auch weitere nahestehende Personen beispielsweise durch die Ausrichtung von Vemächtnissen oder Erbquoten berücksichtigt werden (z.B. Patenkinder, etc.).
Nutzniessung
Nach bisherigem Recht konnten Ehegatten mit gemeinsamen Nachkommen sich auch über die Nutzniessung absichern. Dabei konnte maximal ein Viertel dem überlebenden Ehegatten zu Eigentum und die restlichen drei Viertel zur Nutzniessung zugedacht werden. Dies machte beispielsweise Sinn, wenn man über eine gemeinsame Liegenschaft verfügte und eine Auszahlung der Pflichtteile an die Kinder nicht möglich gewesen wäre bzw. zum Verkauf der Liegenschaft geführt hätte. Infolge der grösseren Gestaltungsfreiheit im revidierten Erbrecht erhöht sich in diesem Fall die verfügbare Quote, welche zu Eigentum zugewendet werden kann, auf die Hälfte des Nachlasses und über die andere Hälfte kann der überlebende Ehegatte die Nutzniessung erhalten.
Vorbehalt von Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden
Der Gesetzgeber hat im Zuge der Erbrechtsrevision klargestellt, dass Zuwendungen unter Lebenden (z.B. Erbvorbezüge) und von Todes wegen, grundsätzlich anfechtbar sind, sofern: (1) diese mit den Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, indem sie beispielsweise eine erbvertraglich vereinbarte Begünstigung reduzieren; (2) sie im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden. Häufig wird in Ehe- und Erbverträgen eine Regel getroffen, wonach der überlebende Ehegatte Alleinerbe wird und beim Zweitversterben, der gesamte Nachlass zu gleichen Teilen an die Nachkommen fällt. Soll der überlebende Ehegatte zusätzlich die Möglichkeit haben, etwa den Patenkindern noch Vermächtnisse auszurichten oder allfällige Erbvorbezüge zu gewähren, so sollte dies im Ehe- und Erbvertrag dement-sprechend neu grundsätzlich vorbehalten werden.
Scheidung: Kein Pflichtteil mehr, aber gesetzliches Erbrecht
Bislang entfiel der Pflichtteilsanspruch zwischen Eheleuten grundsätzlich erst, wenn sie durch ein rechtskräftiges Scheidungsurteil geschieden waren. Neu entfällt der Pflichtteilsanspruch des Ehegatten grundsätzlich bei Einleitung eines Scheidungsverfahrens (abweichende Vereinbarungen vorbehalten). Während des Scheidungsverfahrens ist der andere Ehegatte aber immer noch gesetzlicher Erbe. Soll somit der in Trennung lebende Ehegatte während des Scheidungsverfahrens nichts mehr erben, so muss in einem Testament oder Erbvertrag explizit eine andere Anordnung für den Todesfall getroffen werden.
Fazit
Das neue Erbrecht räumt dem Erblasser durch die Verkleinerung der gesetzlichen Pflichtteile grössere Gestaltungsfreiheit ein. Diese Freiheit kann bei der Nachlassplanung im Hinblick auf die geänderte Rechtslage ab Januar 2023 bereits jetzt bei der Ausarbeitung von Ehe- und Erbverträgen oder Testamenten berücksichtigt werden. Ebenfalls ist es empfehlenswert, bisherige Ehe- und Erbverträge sowie Testamente im Hinblick auf diese Änderungen nochmals zu überprüfen. Unser Team Notariat unterstützt Sie hierbei gerne und steht Ihnen für Fragen zur Verfügung.